Individualverkehr 18 Punkte

Am Wochenende gab es in meiner Heimatstadt wieder die alljährliche Automeile. Das geht so: Die Autohändler aus Stadt und Umland holen ihre Fahrzeuge aus ihren Showrooms und parken sie zwei Tage lang in der Fußgängerzone. Zwischen den Fahrzeugen werden Essenstände aufgebaut in denen Menschen mit schwarzen Einmalhandschuhen Speisen zubereiten und für mutige Preise in kleinen Schälchen servieren. Irgendwo am Rande spielt auch meistens eine Coverband oder mindestens eine Singer-/Songwriterin (bzw. eine Person die Songs mit einer Gitarre vorträgt) bekannten Radiohits in klagendem Gewand. Das gefällt den Menschen in dieser Stadt. Wenn dann noch die Geschäfte am Sonntag öffnen, sind alle Alltagssorgen vergessen.
Weil das Thema Auto mittlerweile nicht mehr so en vogue ist und man sich gerne fortschrittlich gibt, wird die Automeile dieses Jahr Mobilitätsmeile genannt. Und das geht jetzt so: Die Autohändler aus Stadt und Umland holen ihre Fahrzeuge aus ihren Showrooms und parken sie zwei Tage lang in der Fußgängerzone. Aber in nachhaltig. Also nachhaltig, so wie es sich der aktuelle Zeitgeist zurechtlügt: Die Autos werden mit Batterien betrieben, am Ende der Fußgängerzone kommt noch ein Stand mit Lastenfahrrädern dazu und ein weiterer Stand mit E-Bikes. Dazu Fahnenstangen auf denen die Natur jubelt, ob der guten Zeit die wir Menschen mit unserem Individualverkehr in ihr haben können. Ach ja, es gibt auch eine Kletterwand. Oder nennt sich die jetzt Mobilitätswand?

Ernsthaft? Ihr macht das immer noch? Das ist euer Veranstaltungsformat? Es wird weiterhin auf sehr große Fahrzeuge, in denen in der Regel eine Person sitzt, gesetzt. Die Bedienungselemente weichen fast vollständig Touchscreens. Die Leistungsspitzen der E-Mobile sind vergleichbar mit früheren Sportwagen. Irre Beschleunigung bei kurzer Reichweite. Irgendwo müssen schließlich die Prioritäten gesetzt werden. Meistens eher bei Kraft und Leistung als bei Verbrauch und Effizienz.
Woher die ganzen Lithium-Akkus kommen und unter welchen Bedingungen sie produziert werden, wohin damit wenn sie verbraucht sind, die Überproduktion von Fahrzeugen, die Versiegelung der Flächen, die Verwendung und der Einbau von ressourcenfressenden Materialien, das sind Themen die gerne hinten angestellt werden.
Keine Informationsstände über die Pläne zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Taktung, Preise, Erreichbarkeit im Umland. Keine Ideen, die Innenstadt durch wirklich klimafreundliche Maßnahmen zu beleben. Es gibt genug Vorbilder, wie Städte es geschafft haben Autofrei zu werden und dabei trotzdem die Kaufkraft anzuheben: Stuttgart, Gent, Mannheim um nur einige Beispiel zu nennen. Die Liste ist lang.
Stattdessen wird in dieser Stadt darüber gestritten, wenn eine Parkbucht durch eine Sitzlandschaft ersetzt wird.

Heute morgen lese ich in der Zeitung, dass unsere Nation wieder Letzte geworden ist beim alljährlichen Eurovision Song Contest. 18 Punkte. Das ist bitter im Vergleich des sich stark ähnelnden, einfallslosen Angebots der Mitbewerber. Warum wird weiterhin daran festgehalten einen aussichtslosen Kandidaten ins Rennen zu schicken? Warum werden weiterhin Gelder, die die Allgemeinheit erwirtschaftet, für diese im Gesamtzusammenhang doch ziemlich unrelevante Veranstaltung zur Verfügung gestellt?

Man muss nicht überall mitmachen um dabei zu sein.

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