Ich komm um zu kündigen

“Guten Morgen Herr – ah nicht so wichtig, ich wollte Ihnen nur – bleiben Sie ruhig sitzen
ich wollte nur sagen es ist wirklich alles in Ordnung, kein Grund zur Besorgnis
dieser Laden ist ein Haufen Mist und ich komm um zu kündigen.”
Bernd Begemann

CAD – Computer Aided Design. Computerunterstütztes Zeichnen. Da bin ich ziemlich gut drin. Sehr schnell, sehr genau. 1999 habe ich mir das beigebracht, während meines Studiums an der FH für Gestaltung. Nun bin ich Dipl.-Ing. Innenarchitektur. Als gelernter Tischler konnte ich mein Studium verkürzen.
Seit 2004 entwerfe ich Ladeneinrichtungen. Erst nur Bäckereien und Restaurants, dann auch Arztpraxen und Privatwohnungen, zuletzt Supermärkte. Premium-Märkte, wie es bei uns in der Branche heißt. Edeka, Rewe, Hit. Auch da bin ich ziemlich gut drin. Und dafür brauche ich CAD. Also eine ideale Voraussetzung die kommenden Jahre in einem unbefristeten, gut bezahlten Job mit Weihnachts- und Urlaubsgeld, unser Schiff sicher in den Hafen zu lenken.
Nur leider bin ich etwas unmodern. Konservativ fast schon. Ich habe Werte, innere Werte: Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit. Und ich habe ein Gewissen. In den letzten Jahren bin ich jedoch immer müder geworden. Weil meine Werte langsam eingeschlafen sind. Und mit ihnen bin ich selbst eingeschlafen.
Zu oft mussten meine Werte im Büroalltag und in der Kommunikationen mit meinem Chef und meinen Kunden zurück stehen. Das stumpft mit der Zeit ab. Zu alledem arbeite ich in einer Branche die mit Lebensmitteln handelt. Lebensmittel die in aufwendig gestalteten Premium-Märkten präsentiert werden. Wo auf Kühlräume verzichtet wird, da es günstiger ist die Lebensmittel abends wegzuwerfen als über Nacht zu kühlen. Wo ein gleiches Stück Butter in verschiedenen Verpackungen zu völlig unterschiedlichen Preisen verkauft wird. Gemüse welches nicht der EU-Norm entspricht wird entweder reduziert angeboten oder kommt unter dem neuen Rewe-Label “Sonderlinge” in den Laden.
Irgendwann wurde mir alles immer gleichgültiger. Erst im Büro, dann auch zu Hause. Der Job, das Haus, die Familie. Eine Menge Verantwortung und dennoch diese Gleichgültigkeit.

Da stoße ich auf eine Stellenanzeige in der hiesigen Tageszeitung. Gesucht wird ein Filialleiter im Einzelhandel. Store-Manager heißt das mittlerweile. Ich habe keine Übereinstimmung mit den Einstellungsvoraussetzungen. Doch – eine Übereinstimmung habe ich: Interesse an Musik. Also kann ich mich bewerben! 1 Woche später werde ich zu einem Gespräch eingeladen. Nach dem Gespräch weiß ich nur eins: Das ist genau der Job den ich machen möchte! Es folgt noch ein Gespräch, es wird verhandelt – ich habe den Job! Befristeter Vertrag, wenig Urlaub und ein Brutto-Gehalt welches unter meinem letzten Netto-Gehalt liegt. Ich bin nun Store-Manager in einem Musikgeschäft. Früher nannte sich das Musikalienhändler. Und es fühlt sich verdammt gut an.
Ob wir unser Haus halten können, weiß ich noch nicht. Wie weit das Schiff fährt weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, ich möchte wieder für etwas stehen. Wieder für etwas brennen. Dazu brauche ich kein CAD.
Das ist mir aber egal.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.